Von intensiven Probenwochen und persönlichen Ungeheuern 

Ein Gespräch über den Entstehungsprozess des Stücks „Die Nacht so groß wie wir“. Regisseurin Eva Kuen und Theaterpädagoge Benni Troi im Interview mit der Dramaturgin Friederike Wrobel. 

Friederike Wrobel: Am Theaterpädagogischen Zentrum in Brixen (TPZ) arbeitet ihr seit Jahren mit Kindern und Jugendlichen. Ihr habt diverse Theatergruppen mit über 200 Spieler:innen und insgesamt über 20 Produktionen im Jahr. „Die Nacht so groß wie wir” ist die erste Koproduktion mit dem Jugendclub der Vereinigten Bühnen Bozen. Was ist der Unterschied im Vergleich zu euren anderen Inszenierungen? 

Benni Troi: Ich denke, dass es sich vor allem durch das ganze „Drumherum” unterscheidet. Allein die stundenmäßige Anzahl an Proben. Wir proben jeden Samstag fünf bis sechs Stunden — mit den Gruppen am TPZ haben wir eineinhalb Stunden pro Woche. So ist es viel intensiver. Auch vom Bühnenbild her ist es ein großer Unterschied. Weil wir so viele Produktionen haben, reduzieren wir das Bühnenbild eher. Manchmal haben wir vier Aufführungen an einem Tag mit vier unterschiedlichen Gruppen im gleichen Raum. Außerdem fand ich es sehr spannend, mit Eva zu arbeiten. Das war irgendwie ganz lustig, die Schnittstelle zwischen dem künstlerischen Teil von Eva und der Arbeitsweise der Jugendlichen zu sein. 

Eva Kuen und Benni Troi auf der Probebühne
Foto: Benjamin Rosanelli

FW: Und wo ist der Unterschied für dich, Eva, dass du mit Benni die ganze Probenzeit einen Theaterpädagogen an deiner Seite hast, mit dem du die Proben zusammen gestaltest? 

Eva Kuen: Ich habe gemerkt, dass es für mich anfangs schwierig war, die richtige Sprache zu finden. Ich spreche so ganz „Theatersprache”, also so, wie wir es im professionellen Theater auf den Proben gewohnt sind zu kommunizieren. Zum Beispiel habe ich viele Anweisungen als Subtexte gegeben, dann aber gemerkt, dass mich die Jugendlichen da manchmal ratlos anschauen. Benni hat das dann übersetzt in etwas anderes, was für die Jugendlichen verständlich war. Da musste ich erst mal reinkommen und sehen, wohin kann ich sie führen und wo hole ich sie ab. Auch durch die Arbeitsaufträge, die die Jugendlichen dann bekommen haben, habe ich gelernt, mehr auszulassen, sodass sie viel selber erarbeiten. Wir haben Input gegeben und die Jugendlichen haben zunächst ihre eigene Improvisation dazu gemacht. Danach habe ich das natürlich geordnet und es manchmal in eine etwas abstraktere Form gebracht. Wichtig ist jedenfalls, dass möglichst viel aus den Jugendlichen selbst herauskommt und man ihnen nichts aufsetzt.  

FW: Wie habt ihr konkret mit ihnen das Stück erarbeitet und wo konnten sie sich einbringen?

EK: Am Anfang haben wir erst mal viel Basisarbeit und Bewegungsübungen im Raum gemacht. Benni hat da als Theaterpädagoge ein großes Repertoire. Dann haben wir das Stück gelesen und erst mal entschlüsselt. Das war am Anfang gar nicht so leicht für die Jugendlichen.

BT: Ja, weil mehrere Personen die gleiche Rolle spielen und viele Zeitsprünge im Stück sind. Und das alles zu klären, dass sie auch selber damit etwas anfangen und für sich klar machen können, wie sie das zeigen möchten, das war gut die erste Hälfte des Probenprozesses.

EK: Wenn man Jugendliche improvisieren lässt, dann bebildern sie die Dinge im ersten Moment oft eins zu eins. Das war auch ein Prozess für sie, zu verstehen, wie man bei so einem Stück in die Abstraktion gehen kann und was sie da für Werkzeuge benutzen können. Da wachsen sie immer weiter rein. Das ist sehr spannend.

BT: Das war für mich ein sehr sehenswerter Arbeitsprozess. Am Anfang haben wir viele sehr klare Anweisungen gegeben. Und das ist über den Prozess chaotischer und die Ergebnisse besser mit dem Chaos geworden. Weil sie angefangen haben, selber nachzudenken und sich weniger führen zu lassen, sondern mehr Sachen selber anzubieten, mit denen wir uns dann leichter tun, zu sagen, die Richtung gefällt uns oder in die Richtung kann man mehr oder weniger machen.

EK: Ich finde jedes Theaterstück hat immer eine eigene Temperatur. Die gilt es herauszufinden. Und irgendwann gab es bei den Proben so einen Knackpunkt. Plötzlich haben sie eine ganz andere Energie gefunden.

FW: Könnt ihr ganz kurz sagen, wovon das Stück handelt?

BT: Also für mich geht es im Stück um fünf Freund:innen, die mit ihrer Kindheit abschließen möchten, um irgendwie zusammenbleiben zu können, aber das geht sich nicht für alle aus.

EK: Ja, sie müssen erkennen, dass jeder neue Lebensabschnitt auch ein Abschied ist von etwas und dass man nicht weitergehen kann, ohne was anderes zurückzulassen.

FW: Im Stück geht es genau bei diesem Abschließen der Kindheit darum, dass jede:r sein persönliches Ungeheuer treffen muss. Meint ihr, dass die Spieler:innen auch schon im Probenprozess ein persönliches Ungeheuer überwinden mussten oder sind sie einfach mit Freude dabei?

BT: Also ich glaube, unsere Spieler:innen sind eine ganz eigene Kategorie Mensch. Die sind nicht aufgeregt, die haben kein Stress, die sind einfach „brutal”.

EK: Es gab einmal in der Mitte der ersten intensiven Probenwoche in den Ferien einen kurzen Frustrationsmoment. Alle waren müde, hatten einen vollen Kopf. Und natürlich wäre es angenehm nach einer Improvisation zu hören: „Ja super, so machen wir das!” Aber so läuft das ja nicht beim Proben, sondern man bietet etwas an und dann probiert man nochmal was anderes. Gemeinsam suchen eben. Aber an diesem Punkt ist ihnen dieser Prozess etwas auf die Nerven gegangen und es hat ein wenig geknirscht. Aber letztendlich war das super, weil sie danach einen totalen Sprung gemacht haben. Aus der Frustration heraus haben sie ein paar sehr schöne Szenen mit einer super Energie improvisiert, mit denen wir alle sehr happy waren.